Marienbad – Wintermärchen mit Coursing

Von Gerhard Franz

Was ist das? Klare Luft und kalter Himmel, bis zu einem Meter dicker Schnee, Windhunde, die sich im Tiefschnee überschlagen und nicht verletzen, nachts Eis sogar im beheizten Wohnwagen, feines Essen zum günstigen Preis und exzellentes böhmisches Bier zu 80 Cent den halben Liter? Ja, was möchte das wohl sein? Antwort: Schnee-Coursing in Marianske Lazne, in Marienbad.

Als meine Frau vor der Coursing-Europameisterschaft von Petr Vodicka eingeladen wurde, das Schnee-Coursing in Marienbad zu richten, habe ich spontan gesagt: Da fahr’ ich aber mit. Denn ich wollte das noch mal erleben, was wir in Landstuhl vor Jahren durch Zufall hatten: Dass Barsois und Afghanen im fußtiefen Schnee dem Hasenfell nachjagen. Bloß hatte ich keine Vorstellung davon, was uns da hinten im Böhmerwald auf einer Höhe von 800 bis 900 Metern erwarten würde.

Die Anfahrt nach Tschechien war für uns abenteuerlich. Nachdem der Landstuhler Rennleiter Uwe Wittka mit Familie bereits am Donnerstag vorgefahren war, wollten Hasenzieher Roger Jung und wir am Freitag folgen, ausgerechnet am bis dahin kältesten Wintermorgen. Doch schon vor Kaiserslautern schien die Reise zu Ende zu sein. Bei einem Überholvorgang blieb in Rogers Auto der Saft weg – es war irgendwas am Vergaser des Diesel-Motors zugefroren, so dass der Hasenzieher eigentlich nicht mehr weiter fahren wollte. Hier half nur gutes Zureden, das Öffnen einer Schraube am Vergaser sowie eine gedrosselte Geschwindigkeit, so dass wir erst nach Einbruch der Dunkelheit im mondänen Marienbad ankamen. Natürlich aus einer in der Wegbeschreibung nicht vorgesehenen Richtung, so dass wir in der Stadt schließlich vor dem Casino in einer Sackgasse landeten. Das macht viel Freude, wenn man einen Wohnwagen dabei hat, wenn sich rechts und links die geräumten Schneemassen meterhoch türmen, und wenn vorne und hinten verständnislose Autofahrer darauf drängen, dass die Straße endlich wieder frei wird. Doch dies ging gut, genau so wie die anschließende Anfahrt zum Reiterhof oberhalb von Marienbad, wo das Coursing ausgerichtet wurde. Genau wie in Deutschland konnte man auch hier erleben, dass Autofahrer an der falschen Stelle parken, so dass unser Gefährt an der Einfahrt zum Reiterhof in Eis und Schnee stecken blieb. Es half alles nichts: Für die letzten 100 Meter zum Parkplatz mussten die Schneeketten aufgezogen werden.

Aber damit wären auch schon alle Unannehmlichkeiten, die wir hatten, aufgezählt. Gleich nachdem die Hunde gefüttert, der Wohnwagen aufgebockt und die Kabel angeschlossen waren, machten wir uns auf in den Gasthof, um Freunde und Bekannte zu begrüßen. Bei einem feinen Glas Chodovar natürlich, einer örtlichen Biermarke, die einen weißen Hund in ihrem Firmenwappen führt. Von der anschließenden Weinprobe bei Petr und seiner Frau Lenca in einem prächtigen Kaminzimmer soll hier nicht die Rede sein, nur so viel: Es wurde spät.

Samstags rappelte der Wecker viel zu früh, der Himmel war bedeckt, es ging raus zum Coursing-Gelände. Dieser Spaziergang von knapp 400 Metern gestaltete sich etwas mühsamer als bei den sonstigen Coursings in Mitteleuropa. Denn der Tiefschnee war zwar gewalzt, ließ aber zum Teil die Füße so leicht einsacken wie Sanddünen am Meer. Wenn da ein Besitzer seinen Hund kurzfristig an den Start holen musste, wurden sein Puls und sein Blutdruck kräftig in die Höhe geschraubt.

Der Parcours war auf einem Feld quer zu einer Senke aufgebaut, vielleicht 300 Meter lang und halb so breit. Vom Start weg ging es aus einer erhöhten Position nach links hinab in die Senke, dann am Rande des Geländes hoch zur gegenüber liegenden Ecke, dann quer rüber zur rechten Ecke, dem höchsten Punkt. Nun wurde es spannend, denn die Hunde wurden abwärts quer über das Gelände gelockt, wo man zwischen den gewalzten Schneeflächen einen zehn Meter breiten Streifen Tiefschnee hatte stehen lassen. Diese Gemeinheit, die zu ersten sehenswerten Überschlägen führte, wurde häufig noch ohne Probleme weggesteckt. Als der Hase aber zum zweiten Mal durch den Tiefschnee flitzte, diesmal steil bergan, gab es die ersten Aussetzer. Und deshalb hatten einige Hunde, die den Halt unter den Pfoten in ihrem Jagdeifer schon vorher verloren hatten, irgendwann keine Lust mehr. Es gab, auf beide Durchgänge betrachtet, eine Reihe von Hunden, die die Unverschämtheiten der Parcours-Bauer nicht bis zum Ende auskosten wollten. Im zweiten Durchgang war der Parcours umgekehrt gesteckt, so dass die Hunde am Ende einen recht steilen Anstieg von über 150 Metern zu verkraften hatten. Dies war zweifellos das am stärksten Kraft raubende Coursing, das ich je gesehen hatte. Hotton, die Coursing-EM in Belgien, wäre dagegen ein Kinderspiel. Kann sein, dass beim Coursing von Chardonnay in Burgund eine größere Höhendifferenz zu überwinden ist. Aber auf Grund des Schnees, in den viele Hunde immer wieder mit den Läufen einsackten, ist Marienbad ohne Vergleich.

Eine weitere Besonderheit: Wegen des tiefen Schnees konnte der Hase nicht mit einem Motorrad ausgelegt werden; er wurde von einem Jet-Ski gezogen, einer Art Schnee-Motorrad, das vorne auf Kufen läuft und hinten von einer Kette seinen Schub kriegt. Es gab auch Probleme mit der Technik – nicht mit dem Elektromotor, der von einem großen Generator seine Energie bezog, sondern mit dem Seil und mit den Rollen. Es gab Seilrisse und die Notwendigkeit des Rollenaustauschs. Aber dies sind wohl Spezialitäten, mit denen man sich auseinandersetzen muss, wenn man bei Minustemperaturen häufiger Coursings oder Rennen ziehen will. Hier wird die tschechische Rennkommission unter Petr Vodicka noch ein bisschen experimentieren müssen. Aus der Ferne Ratschläge zu erteilen, hat wenig Sinn. In Landstuhl hatten wir schon ähnliche Probleme bei Feuchtigkeit und tiefen Temperaturen – denn das Seil erhitzt sich beim Ziehen durch Reibung an den Rollen, es nimmt Feuchtigkeit auf, die beim Stillstand des Seils sofort gefriert und dem Seil seine Elastizität nimmt.

Aber ansonsten waren die beiden Coursing-Tage von Marienbad der reine Genuss. Insgesamt waren 137 Hunde gemeldet, darunter 32 Barsois, 23 Saluki, 18 Whippet und jeweils 15 Afghanen und Azawakh. Am Abend wurden die Wettbewerbe mit einer Siegerehrung in der Reithalle abgeschlossen. Das war wesentlich angenehmer, als auf freiem Feld in der Kälte herumzustehen.

Alles in allem eine tolle Veranstaltung, die zur wiederkehrenden Dauereinrichtung werden sollte.