Coursing-EM in Lotzwil – Ein sonniges Wochenende im Kanton Bern

Von Gerhard Franz

Es schwang schon ein wenig Enttäuschung mit, als einer der deutschen Teilnehmer an der Coursing-Europameisterschaft feststellte: "Jetzt haben die Schweizer so viele schöne Berge, doch zum Aufbau der EM-Parcours’ benutzen sie ausgerechnet die beiden flachsten Wiesen weit und breit." In der Tat, das Gelände für die EM mit ihren fast 500 Läufen an zwei Tagen, machte keinen besonders anspruchsvollen Eindruck. Dadurch, dass der Windhund-Sportverein Bern (WSVB) für die Austragung der EM auf die Infrastruktur seiner Rennbahn in Lotzwil zurückgreifen wollte, war man auf die angrenzenden Grundstücke angewiesen – und diese werden zum großen Teil landwirtschaftlich genutzt. Ein stärker gegliedertes Gelände in der Nähe, wo man schon Coursings gezogen hatte, stand am Wochenende des 22./23. September jedoch nicht zur Verfügung.

Andererseits: Wenn das Gelände keine natürlichen Hindernisse oder starke Steigungen aufweist, sinkt die Verletzungsgefahr deutlich. Mancher wird sich mit etwas mulmigem Gefühl an die erste EM 2002 in Charmes in Frankreich erinnern, wo ein Bach mit steilen Ufern, der zu waghalsigen Sprüngen animierte, mitten durchs Coursing-Gelände lief.

Gewöhnungsbedürftig war für viele Teilnehmer die auf beiden Parcours’ aufgebaute Endlosanlage, die über Galgen gezogen wurde. Sie hat zwar den Vorteil, dass der Hase nicht mit einem Motorrad ausgelegt werden muss – und die Hunde können sich auch nicht an den in der Wiese verteilten Rollen verletzen. Doch konnte ein Hund, der die Bahn des Hasen kreuzte, von dem mit hohem Tempo gezogenen Hetzobjekt getroffen werden, was mehrfach passierte. In der Regel steckt das Tier einen solchen Schlag einfach weg. Es kann aber auch vorkommen, wie bei einem Whippet, dass das herunter hängende Seil den Leib des Hundes umwickelt und ihn unkontrolliert zur Seite schleudert. In solchen Schrecksekunden hält man schon die Luft an, zumal in diesem Fall auch noch ein Galgen umgerissen wurde. Der deutsche Titelverteidiger bei den Barsoi-Rüden, Trident Type Krylov, hatte im ersten Durchgang vom Hasen einen solchen Schlag abbekommen, dass er sich im zweiten Parcours nur noch vorsichtig bewegte, um sich nicht wieder zu verletzen.

Doch jetzt weg von den Risiken und hin zum Genuss eines sommerlich-sonnigen Windhundesport-Wochenendes. Am Freitagabend, als die Sonne bereits hinter dem Horizont verschwunden war, wurde die EM mit der Flaggenparade zu den Klängen eines Alphorns eröffnet. Nach einer kalten Nacht begrüßte am Samstagmorgen ein blitzblank gefegter Himmel die Teilnehmer, als Azawakh und Galgos, Greyhounds und Magyar Agar, Sloughis und Deerhound sowie das große Feld der Barsois in den Wettbewerb geschickt wurden. 73 Russische Windhunde waren gemeldet, so viele wie noch nie. Darunter elf aus Russland. Nur die Whippets ließen mit 94 Startern die Barsois noch hinter sich. 492 Hunde waren insgesamt gemeldet, zwölf mehr als bei der bisher größten ECM 2005 in Hoope, wo Paul Thum (62), der Vorsitzende des WSVB und des ECM-Organisations-Komitees, damals hinter die Kulissen schauen durfte. "Das war für uns sehr hilfreich", sagt Thum, der dem WSVB seit sechs Jahren vorsteht. Vor drei Jahren habe sich der mit rund 200 Mitgliedern "größte Rennverein der Schweiz" für die Coursing-EM beworben, wobei aber vorher abgeklärt werden musste, "dass wir genügend Leute haben, die hinter dieser Veranstaltung stehen", meint der Präsident. Immerhin waren rund 80 Leute notwendig, um die Veranstaltung mit einem Budget von 35.000 Euro auf die Beine zu stellen. Interessant war das von dem Verein ebenfalls kalkulierte Schlechtwetter-Szenarium. In diesem Fall hätte der Gemeindepräsident (in unserem Sprachgebrauch: Bürgermeister), Beat Luder, der zur Eröffnung der Veranstaltung ebenfalls das Wort ergriffen hatte, den Teilnehmern eine Fläche im Industriegebiet zur Übernachtung angeboten und mit einem Bus-Shuttle den Pendelverkehr zur EM abgesichert. Doch zum Glück musste man diese Variante erst gar nicht ins Auge fassen. Im Wesentlichen wurde das Budget für die EM nach Darstellung von Thum über ein Sponsoring von 8000 Euro, über die Startgelder sowie über den Verkauf von Essen und Getränken finanziert: "Ohne dies würden wir ein Minus schreiben", so Thum.

Von den 492 gemeldeten Hunden in Lotzwil kamen 94 aus Deutschland, während man im belgischen Hotton 2004 von deutscher Seite noch mit genau 108 Startern (bei 437 Meldungen) vertreten war. Mit dem zweitstärksten Kontingent von 82 Windhunden waren die einheimischen Schweizer am Start. Und ähnlich wie bei den Rennveranstaltungen stellte sich heraus, dass auch beim Coursing immer mehr Osteuropäer an den Start gehen. Aus Russland kamen immerhin 30 Hunde, aus Tschechien 21, aus Ungarn elf und der Slowakei neun. Auch war die Verteilung der Titel breit gestreut.

Am Samstag konnte man sechsmal die deutsche Hymne hören. Gleich zweimal bei den Azawakhs, wo sich die Zwingergenossen Meliha of Silverdale bei den Hündinnen und der zwar schon ältere, aber sieggewohnte Kalil of Silverdale den Titel erliefen. Bei den Barsoirüden sicherte sich der noch junge Baruschka´s Kungur in großer und starker Konkurrenz den ersten Platz. Beste deutsche Barsoihündin wurde Jelistaz One Little Sweatheart auf dem fünften Rang, wie Stepun’s Waiko bei den Rüden. Auch bei den Deerhounds zeigte die deutsche Equipe hohe Präsenz; hier holte sich bei den Hündinnen ganz souverän Fritzen´s Lavinia den Titel und in der Rüdenfraktion lief Brian of Albainn auf den ersten Platz. Bei den Greyhounds und Windspielen gingen keine deutschen Hunde an den Start. Dafür dominierten die deutschen Hunde bei den Sloughis, und von den vier platzierten Hündinnen aus Deutschland wurde Chase Mahanajim Europa-Coursingsieger.

Beste deutsche Hündin bei den Galgos wurde Cerunnos Exlibris mit Platz 6. Im gemischten Irish Wolfhound-Feld wurde Dyka´s Gentle Bounty Vize, das gleiche gelang Betcha Katcha Mignon im gemischten Magyar Agar-Feld. Mit dem dritten Platz wurde Javeed al Din Pari-was bester deutscher Saluki-Rüde; und bei den Saluki-Hündinnen lief Mamnouna´s Nedyar als beste deutsche ebenfalls auf Rang drei. Vize bei den Sloughi-Rüden und damit bester deutscher wurde Chafir Sheik el Arab.

Am Sonntag waren nicht so viele verschiedene Rassen am Start. Zweimal wurde die deutsche Nationalhymne gespielt. Bei den Afghanen-Hündinnen war Ana-shakti´s Ayala die Glückliche, die mit dem Titel nach Hause reiste. Schwester Alina, die als Titelverteidigerin angetreten war, musste sich mit Platz sechs begnügen. Sozusagen einen Doppelsieg gab es bei den Whippet-Hündinnen für Deutschland. In riesengroßer Konkurrenz sicherte sich mit zehn Punkten Vorsprung Culann´s Energy den Sieg vor Fame vom Kleinen Berg. Bester deutscher Whippet-Rüde wurde Culann´s Derby mit dem fünften Platz. So konnte der deutsche Chef d’Equipe Frank Schmidt, der bei der Abschlussveranstaltung als einziger Redner auch die Arbeit der Hasenzieher würdigte, immerhin acht Deutschen – bei insgesamt 22 vergebenen Titeln – zum Europameister gratulieren.

Stimmungsvoll ging die Europameisterschaft in Lotzwil zu Ende, als beim Sonnenuntergang das Lied "Time to say goodbye" erklang und die Teilnehmer ihre Flaggen und Fähnchen im Rhythmus der Musik hin und her schwangen und andere sich in die Arme fielen und tanzten. So schön sei noch kein solcher Wettbewerb ausgeklungen, sagten viele.